Betriebliche Mitbestimmung

Leitbild

Beschäftigte in Call Centern, ihre gewählten Betriebsräte und die gewerkschaftlichen Interessenvertreter sollen sich ohne Behinderung und Beschränkung im Betrieb betätigen können. Ihre Rechte aus dem Grundgesetz und anderen Rechtsnormen werden anerkannt und gewährt. Insbesondere dürfen für Beschäftigte, die ihre Rechte nutzen, keine Nachteile entstehen. Die Grundlage für die Arbeit von Betriebsräten ist das Betriebsverfassungsgesetz. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen auch in Konfliktsituationen nicht willkürlich den Entscheidungen des Arbeitgebers oder des Vorgesetzten ausgesetzt sein. Die ungestörte Einleitung und Durchführung von Betriebsratswahlen muss auch in Call Centern gewährleistet werden, da Betriebsräte in allen Betrieben mit mindestens fünf wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesetzlich vorgeschrieben sind. Betriebsratsmitglieder genießen auch in Call Centern einen vom Gesetzgeber vorgesehenen besonderen Kündigungs- und Versetzungsschutz. Sie müssen für ihre Arbeit freigestellt werden, beziehen Ihr Entgelt weiter und dürfen wegen ihres Amtes keine Nachteile erleiden. Weiter haben sie Anspruch auf bezahlte Freistellung für die Betriebsratsarbeit und für die Teilnahme an Schulungen. Dies gilt auch für teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder. Wie in vielen anderen Betrieben selbstverständlich haben Betriebsräte auch in Call Centern das Recht, Angelegenheiten des betrieblichen Alltags im Sinne der Beschäftigten zu regeln. Sie müssen z.B. darauf achten, dass Tarifverträge und andere Schutzbestimmungen eingehalten werden.

Betriebsräte dürfen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insbesondere unterstützen:

  • bei Gesprächen mit Vorgesetzten;
  • bei berechtigten Beschwerden;
  • bei Prüfung der tariflichen Eingruppierung;
  • bei Einstellungen und Versetzungen;
  • im Falle einer Kündigung muss der Betriebsrat vorher angehört werden.

Betriebsräte bestimmen mit bei:

  • Arbeitszeit- und Pausenregelungen, bei Überstunden;
  • betrieblicher Lohngestaltung und Einführung von Leistungsentgelten;
  • Urlaubsplanung und insbesondere -gewährung;
  • Einführung und Anwendung neuer Technologien;
  • betrieblichem Umwelt- und Gesundheitsschutz;
  • betrieblichen Sozialeinrichtungen, z. B. Kantinen und Betriebskindergärten;
  • der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

Wichtige Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte in Call Centern sind die nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 10 BetrVG, die Arbeitszeit und Entgelt betreffen.

Bevor Betriebsräte hier eine Betriebsvereinbarung abschließen, um die Interessen der Beschäftigten zu sichern, haben sie zu prüfen, inwieweit die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG gilt. Denn Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand von Betriebsvereinbarungen sein. Es sei denn, ein Tarifvertrag lässt den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zu.

Voraussetzungen für die Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 BetrVG sind:

  • der Betrieb fällt unter einen Tarifvertrag
  • der Betrieb fällt nicht unter einen Tarifvertrag, aber die Arbeitsbedingungen werden üblicherweise durch einen Tarifvertrag geregelt (Zur Tarifüblichkeit, vgl. Fitting1, Kommentar zum BetrVG § 77 Rn. 90ff)

Rechtsfolge des § 77 Abs. 3 BetrVG

Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG erfasst die Regelungen, die ausdrücklich abschließend im TV geregelt sind.

Für die Mitbestimmungsrechte des § 87 BetrVG gilt insoweit nach dessen Abs1. S.1, dass die Betriebsräte nur mitzubestimmen haben, „soweit“ eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Dies haben die Betriebsräte vor Abschluss einer BV immer zu prüfen.


Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Fragen der Arbeitszeit

Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr.2 BetrVG ist es, die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich der Freizeit für die Gestaltung ihres Privatlebens zur Geltung zu bringen und darauf zu achten, dass die Einteilung und Lage der Arbeitszeit eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit überhaupt noch möglich machen (BAG 29.02.00 AP Nr. 81 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Der Betriebsrat muss deshalb Arbeitszeitmodelle in Call Centern unter Berücksichtigung der Beschäftigten entwickeln. Stichworte sind hier Planbarkeit, Ausgewogenheit, Überschaubarkeit, Nachvollziehbarkeit.

Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Fragen der Arbeitszeit. Hierzu gehören: Arbeitsbereitschaft, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft (Fitting, § 87 Rn. 96)

Die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit unterliegt nach h.M. nicht der Mitbestimmung (st. Rspr. des BAG 22.7.03, AP Nr. 108 zu § 87 BetrVG 1972, a.A. DKKW-Klebe, Kommentar zum BetrVG 13. Auflage, § 87 Rn. 88).

Mitbestimmungspflichtig ist/sind weiter:

  • die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage bzw. der monatlichen Arbeitszeit auf die Monatstage ( DKKW-Klebe, § 87 Rn. 74)
  • das Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit, also der Dauer der täglichen Arbeitszeit ( BAG 28.9.88 AP Nr. 29 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit)
  • die Frage, ob und an welchen Tagen kürzer bzw. länger gearbeitet wird (Fitting, § 87 Rn. 108)
  • die Einrichtung arbeitsfreier Tage (Fitting, § 87 Rn. 109)
  • die Einführung und Regelung von zulässiger Sonntagsarbeit( BAG 25.02.97 AP Nr. 72 zu § 87 BetrVG 1972)
  • die Festlegung der zeitlichen Lage eines Ersatzruhetages (LAG Köln 24.09.98 AiB 99, 467)
  • Einführung von gleitenden Arbeitszeiten, die Festlegung der Kernarbeitszeit, und des Gleitzeitrahmens (Fitting, § 87 Rn. 115)
  • Pausenregelungen (zur Definition der Pause vgl. BAG 22.07.03 AP Nr. 108 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit)
  • Einführung von Schichtarbeit, Aufstellung des Schichtplans und die Grundsätze nach denen einzelne Mitarbeiter den einzelnen Schichten zugeordnet werden (Fitting, § 87 Rn. 120,121, 122, 123)
  • Bei Teilzeitarbeit kann der Betriebsrat bei der Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht mitbestimmen (BAG 22.7.03, AP Nr. 108 zu § 87 BetrVG 1972)
  • Ansonsten gelten für Teilzeitbeschäftigte die genannten Grundsätze (Fitting, § 87 Rn. 124)

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Entgeltfragen nach § 87 Abs. 1 Nr.10 BetrVG.

Das Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte besteht bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Es schützt die Beschäftigten vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung, sichert die Angemessenheit sowie Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und wahrt die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit (Fitting, § 87 Rn. 407). Es erstreckt sich aber nicht auf die Lohnhöhe (BAG GS 3.12.91 APO Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Einigungsstelle, a.A. DKKW- Klebe, § 87 Rn. 311).

Das Mitbestimmungsrecht sieht insbesondere folgende Regelungsmöglichkeiten für Betriebsräte vor:

  • die Fragen der betrieblichen Lohngestaltung
  • die Festlegung kollektiver abstrakter Regelungen für die Entlohnung (DKKW-Klebe, § 87 Rn. 298)
  • die Grundsätze des Lohnsystems (Zeitlohn, Leistungslohn)
  • die Bildung von Kriterien für ein angemessenes Verhältnis von Leistung und Lohn, also die Festlegung der materiellen Kriterien. (Fitting, § 87 Rn. 425)
  • das Aufstellen eines detaillierten Entgeltsystems sowie die Bildung von Entgeltgruppen nach abstrakten Kriterien (BAG 22.06.10 – 1 AZR 853/08 – NZA 10, 1243)

Die Festlegung einer allgemeinen Vergütungsordnung bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber ist allenfalls im Ausnahmefall erforderlich, wenn der Tarifvertrag keine Regelungen über die Höhe und Bemessung des Arbeitsentgelts enthält (BAG 14.12.93 AP Nr. 65 zu § 87 BetrVG 1972).

Bei tarifungebundenen Arbeitgebern ist es Aufgabe der Betriebsparteien, ein Vergütungssystem, also die Kriterien für die Lohnbemessung (Aufstellung von Lohngruppen, Festlegung der Mindestdifferenz zwischen den Lohngruppen) festzulegen (Fitting a.a.O. Rn. 426).

Zu Entlohnungsgrundsätzen gehört auch die Frage, ob in Zeit- oder Leistungslohn gearbeitet wird (Fitting a.a.O. Rn. 427).

Mitbestimmung besteht auch bei der Frage, welche Zeit als Nachtarbeit zuschlagspflichtig ist (BAG 21.09.93, AP Nr. 62 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).

Mitbestimmungsrecht umfasst sowohl die Aufstellung als auch die Änderung von Entlohnungsgrundsätzen (DKKW – Klebe, § 87 Rn. 310).


Gute Praxis Beipiel 1: Will der Betriebsrat sich mit dem Thema psychische Belastungen beschäftigen, prüft er zunächst einmal die betrieblichen Voraussetzungen und macht sich einen realistischen Handlungsplan:

Orientieren

  • Schritt 1: Informationen einholen
  • Schritt 2: Sich ein Bild von der betrieblichen Situation verschaffen, auch Beschäftigte befragen
  • Schritt 3: Selbstverständnis und Ziele im Umgang mit psychischen Belastungen klären

Struktur schaffen

  • Schritt 4: Die Beschäftigten informieren und mit ins Boot holen
  • Schritt 5: Bündnispartner im Betrieb suchen
  • Schritt 6; Unterstützung von außen organisieren
  • Schritt 7: Rechtliche Beteiligungsmöglichkeiten klären

Umsetzen

  • Schritt 8: Mitbestimmungsrechte nutzen und den Arbeitgeber in die Verantwortung nehmen
  • Schritt 9: Regelungspunkte für eine Vereinbarung entwerfen
  • Schritt 10: Mit dem Arbeitgeber eine gemeinsame Vorgehensweise vereinbaren
  • Schritt 11: Psychische Belastungen analysieren und Handlungsbedarfe ableiten
  • Schritt 12: Maßnahmen entwickeln und Umsetzung planen

Durchsetzungsmöglichkeiten: Arbeitsschutzgesetz und Mitbestimmung nutzen

Nach § 87 (1) Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in allen Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften mitzubestimmen, und damit auch bei der Methode der Gefährdungsbeurteilung, wer sie durchführt, wann und wie häufig sie durchgeführt wird sowie bei den durchzuführenden Maßnahmen. Dies umfasst auch das Initiativrecht, selbst einen Fragebogen oder andere Methoden vorzuschlagen, wie die Psychischen Belastungen gemessen und verringert werden.

Gute Praxis Beispiel 2: Der Betriebsrat schließt mit dem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung mit Schwerpunkt „Psychische Belastungen“ ab, die Regelungen zu folgenden Themen (Mindestanforderungen) enthält:

  • Steuerungskreis
  • Zusammensetzung, Aufgaben, Beschlussfassung, Qualifizierung
  • Information und Beteiligung der Beschäftigten
  • Ablaufphasen und Verfahren der Gefährdungsbeurteilung
  • Ablaufphasen (Grob-,Feinanalyse), Methode(n) oder Kriterien, ggf. Frist, Anlässe für
  • wiederholte Durchführung
  • Hinzuziehung Externer
  • Datenerhebung, Anonymität, Datenschutz
  • Führungskräfte

Gute Praxis Beispiel 3: Der Betriebsrat vereinbart mit dem Arbeitgeber die Ermittlung der psychischen Belastungen und Beanspruchungen durch eine Mitarbeiterbefragung (z.B. mit dem StressProfilCheck, der sich besonders für personalisierte Dienstleistungen eignet und die Dimensionen nach DIN EN ISO 10075 enthält):

tbs-nrw/Gute_Arbeit_im_Callcenter

Mit dieser Methode lassen sich die entscheidenden Stressoren im Betrieb identifizieren und damit vielleicht das Branchenbild konkret mit Zahlen unterfüttern bzw. auch nach Abteilungen, Teams, Altersgruppen, Funktionsgruppen im Unternehmen differenzieren, um im nächsten Schritt den direkten Handlungsbedarf und Verbesserungsmaßnahmen anzugehen.